Insolvenzanfechtung

Ein scharfes Schwert

Die Insolvenzanfechtung hat nichts zu tun mit der im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelten Anfechtung von Willenserklärungen wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung. Die Insolvenzanfechtung ist ein Rechtsbehelf, mit dem ein Insolvenzverwalter, sehr allgemein ausgedrückt, Übertragungen von Vermögensgegenständen rückgängig machen kann, die vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden.

Einen entsprechenden Rechtsbehelf gibt es auch in der Einzelzwangsvollstreckung. Dort heißt er "Gläubigeranfechtung" und ist im Anfechtungsgesetz (AnfG) geregelt. In der Einzelzwangsvollstreckung kann der Anfechtungsanspruch von einem Gläubiger geltend gemacht werden, der bei der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner ausgefallen ist.

Die Gläubigeranfechtung hat ihre Ursprünge im römischen Recht. Die “actio Pauliana”, wie sie dort hieß, hat also eine sehr lange Rechtstradition. Im römischen Recht war sie darauf gerichtet, Vermögensverschiebungen und Schenkungen rückgängig zu machen, die ein Schuldner in Erwartung seines wirtschaftlichen Zusammenbruchs in der unredlichen Absicht vorgenommen hatte, Teile seines Vermögens vor seinen Gläubigern (bei nahestehenden Personen) in Sicherheit zu bringen und dadurch die Haftung für seine Verbindlichkeiten zu unterlaufen. Die Gläubigeranfechtung gewährleistete damit eine wesentliche Voraussetzung für den Zivilrechtsverkehr.

Auch heute noch können mit der Gläubiger- bzw. Insolvenzanfechtung solche unredlichen Vermögensverschiebungen rückgängig gemacht werden. Insbesondere die Insolvenzanfechtung ist darauf jedoch nicht beschränkt. Von ihr sind inzwischen sogar in der ganz überwiegenden Mehrzahl nicht Empfänger unredlicher Vermögensverschiebungen, sondern “normale” Gläubiger eines insolventen Schuldners betroffen, die nicht mehr als das erhalten haben, worauf sie einen regulären vertraglichen oder gesetzlichen Anspruch hatten.

Das liegt einmal daran, daß der Gesetzgeber (schon Ende des 19. Jahrhunderts) zusätzlich zur Absichts- und Schenkungsanfechtung eine besondere Konkurs- bzw. Insolvenzanfechtung geschaffen hat, für die es nicht auf einen Benachteiligungsvorsatz des Schuldners ankommt, sondern die den Zweck hat, die Gläubigergleichbehandlung schon für einen begrenzten Zeitraum (jetzt: drei Monate) vor der Stellung des Insolvenzantrags durchzusetzen: Wenn ein Schuldner schon zahlungsunfähig ist, soll es nicht vom Zufall abhängen, welcher Gläubiger noch zu seinem Geld kommt. Wer als Gläubiger kurz vor Insolvenzantragstellung eine Sicherung oder Befriedigung vom zahlungsunfähigen Schuldner erlangt (sog. "kongruente" oder "inkongruente Deckung"), muß diese nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners an die Insolvenzmasse zurückgewähren, um im Gegenzug beanspruchen zu können, neben den anderen Insolvenzgläubigern quotal befriedigt zu werden. Die besondere Insolvenzanfechtung ist in den §§ 130, 131 InsO geregelt.

Zum zweiten wurde von der Rechtsprechung v.a. seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung im Jahre 1999 der Anwendungsbereich der Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) über die Fälle unredlicher Vermögensverschiebungen hinaus auf die Erfüllung regulärer Verbindlichkeiten durch einen (materiell) zahlungsunfähigen Schuldner erstreckt. Anders als mit der besonderen Insolvenzanfechtung können mit der Vorsatzanfechtung auch Rechtshandlungen rückgängig gemacht werden, die vom Schuldner mehrere Jahre (!) vor dem Insolvenzantrag vorgenommen wurden. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Vorsatzanfechtung wurde dadurch erreicht, daß das Erfordernis einer unredlichen Zwecksetzung gestrichen und die Kenntnis des Schuldners von seiner eigenen Zahlungsunfähigkeit für den "Benachteiligungsvorsatz" genommen wurde: Ein Schuldner, der weiß, daß er nicht mehr genug Geld hat, um alle seine Gläubiger vollständig zu befriedigen, der weiß auch, daß er seine übrigen Gläubiger benachteiligt, wenn er einen von ihnen befriedigt. Für eine erfolgreiche Vorsatzanfechtung war nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs über viele Jahre hinweg nur erforderlich, daß der Insolvenzverwalter beweisen konnte, daß Schuldner und befriedigter Gläubiger bei Vornahme der Rechtshandlung jeweils wußten, daß der Schuldner (drohend) zahlungsunfähig ist. Damit wurde die Insolvenzanfechtung zu einem außerordentlich mächtigen Mittel des Insolvenzverwalters, um die Insolvenzmasse auf Kosten privater und öffentlicher Gläubiger ganz erheblich anzureichern. Vielfach wurden und werden von Gläubigern sämtliche Zahlungen zurückverlangt, die der Schuldner in den letzten Jahren vor Insolvenzantragstellung geleistet hat.

Nachdem die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) von Teilen der Wissenschaft schon lange scharf kritisiert worden war, ist der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 6.5.2021 von seiner Rechtsprechung teilweise abgerückt. Es sei ein Bruch mit der Gesetzessystematik, wenn aus einer erkannten Zahlungsunfähigkeit auf einen Benachteiligungsvorsatz des Schuldner geschlossen und damit der Anwendungsbereich der Vorsatzanfechtung auf kongruente Deckungen erstreckt werde, die nach § 130 InsO nur dann angefochten werden können, wenn sie innerhalb von drei Monaten vor Insolvenzantragstellung vorgenommen wurden. M.E. inkonsequent, ist der Bundesgerichtshof allerdings nicht dahin zurückgekehrt, daß der “Benachteiligungsvorsatz” des Schuldners eine unredliche Zwecksetzung erfordert, sondern es soll aus der Kenntnis des Schuldners von seiner eigenen Zahlungsunfähigkeit immer noch dann auf den Benachteiligungsvorsatz geschlossen werden können, wenn die Zahlungsunfähigkeit ein so großes Ausmaß angenommen hatte, daß eine Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit als aussichtslos angesehen werden mußte. – Die Anfechtungsvoraussetzungen wurden also lediglich erhöht. Die Aussichten einer erfolgreichen Rechtsverteidigung gegen eine Insolvenzanfechtungsklage sind damit erheblich besser geworden, die Anfechtungsrisiken aber nicht verschwunden. Auch der Bruch mit der Gesetzessystematik besteht aus meiner Sicht fort.